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Augenarzt operiert nach Schlaganfall: Patienten müssen über Vorerkrankungen ihres Arztes aufgeklärt werden

Das BayOblG hat auf die Revision der Staatsanwaltschaft Kempten (Allgäu) ein Berufungsurteil des LG Kempten vom 08.10.2020 aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das LG Kempten zurückverwiesen.

Die vom Angeklagten eingelegte Revision wurde verworfen.

Nach den Feststellungen des Landgerichts Kempten betrieb der Angeklagte als approbierter Augenarzt in den Jahren 2011-2015 in Kempten eine Augenarztpraxis, in der er unter anderem auch Kataraktoperationen (Operation des Grauen Stars) durchführte. Im Vorfeld dieser Operationen ließ der Angeklagte seine Patienten zwar über sämtliche Operationsrisiken aufklären. Dagegen wurden die Patienten nach den Feststellungen des Landgerichts nicht darauf hingewiesen, dass der Angeklagte im Jahr 2009 bereits einen Schlaganfall erlitten hatte, der auch zu motorischen Einschränkungen seiner rechten Hand führte. 9 Patienten erlitten nach den Urteilsfeststellungen im Zusammenhang mit den operativen Maßnahmen Schäden an ihren Augen, wobei zwei Patientinnen auf jeweils einem Auge erblindeten. Die Berufungskammer ging in ihrer Entscheidung dabei davon aus, dass der Angeklagte wegen seiner körperlichen Beeinträchtigungen nicht mehr in der Lage war, Augenoperationen durchzuführen. In seiner Beweiswürdigung kam das Berufungsgericht aber zu dem Schluss, dass ein direkter Zusammenhang zwischen den motorischen Beeinträchtigungen und den Behandlungsfehlern nicht nachweisbar war.

Das Landgericht verurteilte den Angeklagten dennoch wegen 9 Fällen der fahrlässigen Köperverletzung zu einer Bewährungsstrafe von 9 Monaten. Nach Ansicht der Berufungskammer hatten die geschädigten Patienten in die Operation nicht wirksam eingewilligt, weil eine Aufklärung über die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Angeklagten unterblieben war. Mangels wirksamer Einwilligung sei der Angeklagte nicht befugt gewesen, die Operationen durchzuführen. Die Berufungskammer ging zugunsten des Angeklagten davon aus, dass der Angeklagte die Notwendigkeit einer Aufklärung über seinen Gesundheitszustand fahrlässig verkannt hat und verurteilte ihn wegen fahrlässiger Körperverletzung.

Gegen dieses Urteil legten Verteidigung und Staatsanwaltschaft Revision ein. Nach Ansicht der Verteidigung war der Angeklagte nicht verpflichtet, seine Patienten über den vorangegangenen Schlaganfall zu informieren, da die zuständige Approbationsbehörde im Jahr 2012 bei einer amtsärztlichen Untersuchung keine körperlichen Einschränkungen feststellen konnte und deswegen die Approbation nicht entzog. Die Verteidiger des Angeklagten beantragten deswegen für den Angeklagten einen Freispruch.

Die Staatsanwaltschaft trug in der Revision vor, dass das Landgericht Kempten den Angeklagten auf Grundlage einer lückenhaften Beweiswürdigung nur wegen fahrlässiger Körperverletzung in 9 Fällen verurteilt habe. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft sprechen gewichtige Indizien dafür, dass der Angeklagte die Körperverletzungshandlungen vorsätzlich begangen hat, weil ihm seine körperlichen Beeinträchtigungen bekannt waren. Die Generalstaatsanwaltschaft beantragte daher die Aufhebung des Urteils und Rückverweisung des Verfahrens.

Der 5. Strafsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichts ist der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft München in vollem Umfang gefolgt.

Der Senat hat in seiner Urteilsbegründung hierzu ausgeführt, dass eine wirksame Einwilligung der Geschädigten in die Operationen nicht vorlag. Eine rechtswirksame Einwilligung setzt nach den Ausführungen des Senats eine Aufklärung voraus, die dem Patienten Wesen, Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und seiner Gestaltung in den Grundzügen erkennen lassen und ihn in die Lage versetzen, das für und Wider des Eingriffs abschätzen zu können. Ein Arzt hat danach seine Patienten über alle Umstände aufzuklären, die aus der Sicht eines verständigen, nicht übertrieben ängstlichen Patienten wesentlich sind, um die Risiken einer Operation abschätzen zu können. Der Senat kam deswegen zu dem Schluss, dass der Angeklagte Einschränkungen seiner motorischen Fähigkeiten gegenüber seinen Patienten nicht verschweigen durfte. Der Vorsitzende betonte in der mündlichen Urteilsverkündung, dass die Erteilung einer Approbation einen Arzt nicht von der Pflicht entbindet, jeweils kritisch zu prüfen, ob er über die erforderliche Eignung für eine Heilbehandlungsmaßnahme verfügt. Dies gelte namentlich für Heilbehandlungsmaßnahmen, die mit erheblichen Risiken verbunden sind. Der Senat verwarf deswegen die Revision des Angeklagten.

Das Urteil des Landgerichts Kempten wurde im Übrigen auf die Revision der Staatsanwaltschaft aufgehoben. Der Senat führte hierzu aus, dass die Urteilsfeststellungen des Landgerichts lückenhaft sind, soweit der Angeklagte – entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft – nur wegen fahrlässiger Körperverletzung verurteilt wurde. Auch das Amtsgericht Kempten ging in seiner erstinstanzlichen Entscheidung von einem vorsätzlichen Handeln aus.

Der Senat hat die Sache an eine andere Kammer des Landgerichts Kempten zurückverwiesen.

Quelle: Pressemitteilung des BayObLG Nr. 1/2021 v. 29.06.2021

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